Warum ich nicht mehr über Corona streiten mag

Dieses hochemotionale Gegeneinander - ist es noch gefährlicher als Corona an sich? Ich weiß es langsam nicht mehr. Ich weiß nur: Ich will nicht mehr, dass in Debatten so viele Ebenen durcheinandergemischt werden. Wir haben einfach alle keine Antwort.

Ich habe letztens geschrieben, wie die Infektion bei mir nachwirkt und habe dazu aufgerufen, ganz persönlich auf die Maßnahmen zu achten. Was folgte, waren unglaubliche Streitereien und Aussagen a la „Ich hab auch schon mal gehustet“. Liebe Mitmenschen: Ich kenn Lungenentzündung, ich kenn jetzt Corona, und ich merk gerade den Unterschied. Die, die mich anschimpfen, kennen Corona nicht. Aber das nur so nebenbei. Und damit möchte ich keine Angst machen, ich bin weder im Spital gelandet noch musste ich beatmet werden, aber ja, mehr Respekt vor dem Virus braucht es. Ich wünsch ja auch niemandem eine Lungenentzündung, die nicht aufgrund der aktuellen Coronaviren entsteht. Sparts es euch einfach, indem ihr euch schützts, ruhig und ohne Angst.

Am nächsten Tag meinte eine Freundin, die massiv gegen die derzeitigen Maßnahmen ist, ich hätte doch mit meiner Reichweite die Verantwortung, auch mal Positives zu posten. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Habe ich die Verantwortung, meine Meinung rauszublasen? Weil mehr als Meinung ist es nicht und kann es nicht sein.

Es kommen täglich neue Erkennisse und Studien zu dem Thema raus, und ich fühle mich nicht in der Lage, diese in ihrer Relevanz einzuordnen. Welche Studie ich als positiv bewerte, ist ja wieder reine Subjektivität. Was ich auf alle Fälle nicht machen will, ist nur jenen Studien zu glauben, die halt mein Wunschdenken bestätigen, und genau das seh ich in alle Richtungen gehend von Angst bis Relativierung grad bei sehr vielen. Aber für mich ist klar, ich glaube eher den VirologInnen als den PolitikerInnen oder fachfremden MedizinerInnen (ein Schönheitschirurg hat kürzlich erst laut und auf oe24 bewiesen, dass er jetzt fachlich nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte ist, was Virenverbreitung angeht). Das ist meine Entscheidung, basierend auf meiner bisherigen Erfahrung, jenen zu glauben, die hohe Expertise in ihrem jeweiligen Bereich haben. Ich lass mir auch nicht von meiner Mutter das Computerprogrammieren oder von meinem kleinen Neffen Experimentalphysik erklären (ich mein, ich tu es schon, weils sehr lustig ist, aber ich ziehe daraus jetzt keine inhaltlichen Erkenntnisse raus).

Aber ich komme immer mehr an den Punkt, dass ich das wissenschaftliche Geschehen und diese unglaublich unwissenschaftliche Debatte dazu einfach nicht mehr aushalte, genausowenig wie das politische Geplänkel, das hier stattfindet und die Gerüchteküche täglich anheizt, anstatt für klare Ansagen zu sorgen. Aber egal, um wen von uns HobbyvirologInnen und -politikerInnen es geht:

Niemand von uns hat recht. Wir stecken mittendrin, niemand kann für sich beanspruchen, die Wahrheit gefunden zu haben.

Ich versteh wirklich gut, dass in dieser Suche nach Antworten ganz viel Abwehrmechanismus steckt und noch viel mehr berechtigte Angst vor wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen, wenn es so weitergeht wie jetzt, aber: Ich - und wir alle ! - kann in Sachen Epidemiegeschehen jetzt nur eines tun: Angstfrei (!!!) auf meinen persönlichen Schutz und den von anderen achten, völlig unabhängig von politischen Maßnahmen und nicht übervorsichtig, aber ernst. Und durch dieses Verhalten möglicherweise Entscheidungen der Politik delegitimieren - geben wir ihnen doch einfach keinen Grund für ihr Ampelgeplänkel! Die Politik selbst muss definitiv mehr tun, als uns zu Abstand und Hygiene zu mahnen. Aber ließen sich diese politischen Maßnahmen nicht besser einfordern, wenn die Zivilbevölkerung klar aufzeigt, hey ihr da oben, wir machen unseren Job, indem wir Abstand halten, Hände Waschen, Masken tragen, wo notwendig, also macht verdammtnochmal auch euren?

Ich versteh überhaupt nicht mehr, was da eigentlich erwartet wird, glaubt ihr ernsthaft, die Politik schwingt jetzt innerhalb der kommenden Wochen um auf "Ok, habts recht gehabt, es sterben eh nur wenige, wir lockern jetzt alle Maßnahmen"? Das wird nicht passieren, egal, wie laut wir sind, und ja, genau da seh ich auch eine gewisse Gefahr der politischen Manipulation, bei der sämtliche Holzaugen wachsam sein müssen. 

Wachsam sein heißt aber immer noch nicht, dass man recht haben muss. Schaut euch doch um in den Nachbarländern, überall tobt es, nicht nur bei uns! Wir stecken schlicht und einfach alle in der gleichen Scheiße, deshalb heißt es auch Pandemie, und niemand von uns hat „die Antwort“, niemand von uns kann es im Moment besser wissen.

Und anstatt jetzt gegenseitig aufeinander zu schimpfen, weil die Nerven überall blank liegen vor lauter Grundbelastung, lasst uns doch bitte meinetwegen auf das politische Geplänkel pfeifen und beweisen, dass es in echter Solidarität auch zivilgesellschaftlich geht, die Ansteckungen gering zu halten. Ich versteh extreeeem gut, dass man grad gern wie ein kleines Kind aufstampfen will und "dagegen" schreien will, aber das ändert halt trotzdem nix daran, dass es viele Ansteckungen gibt und dass man das nicht verharmlosen sollte. In meiner Blase schreien gerade jene am lautesten, die erklären, dass das eh nur eine Art Grippe ist und für die Grippe sperren wir auch nicht das ganze Land und überhaupt. Da kann man noch so oft VirologInnen und MedizinerInnen, die CovidpatientInnen behandeln, zitieren, es ist nicht wie die Grippe, es ist viel ansteckender und KANN noch viel blöder ausgehen, nein, Punkt, aus, dagegen, stampf und schmoll.

Es vermischen sich einfach die Ebenen so sehr, die persönliche der Infektionsgefahr, die politische, die es kritisch zu betrachten gilt (und wo es vor allem im Bereich der Hilfsfonds für EPUs/KMUs und Kultur verdammt laut zu sein gilt - da machen mich die Aktionen von Blümel, Mahrer, Kurz und wie sie alle heißen, absolut fassungslos), und die wissenschaftliche, die dynamisch ist, in der Aussagen gegeneinander stehen und die wir beobachten sollten, aber SACHLICH.

Es ist so schwierig, zu dem Thema eine Meinung zu haben, weil es so viele gibt. Ich sehe daher nicht die Verantwortung, dass ich auch mal was Positives zu Corona, eine entschärfende Studie o.ä. posten muss. Ich sehe die Verantwortung, an zivilgesellschaftlicher Solidarität zu arbeiten und dazu beizutragen. Das mach ich nicht, in dem ich Studie gegen Studie aufhusse. Wir stecken nun mal wie gesagt alle in der Scheiße und jetzt geht es darum, uns gegenseitig zu helfen, uns zu schützen und miteinander, gemeinsam durch die Pandemie durchzugehen. Was bringt uns jetzt dieses emotional hochaufgeladene Gegeneinander?

Dass dieses verdammte Virus für so viel Spaltung sorgt, dass ehemals gute Freundschaften aufgrund der unterschiedlichen Auffassung über ein Stück Stoff vorm Gesicht auseinandergehen, hätt ich nie gedacht. Wie unglaublich traurig. Ich würde meine Freunde gerne behalten, auch wenn sie anderer Meinung sind als ich – jene Freundin, die von mir die Verantwortung aufgrund meiner Reichweite einfordert, habe ich sehr lieb und ich hab wirklich keine Lust, mich aufgrund dieses Themas mit ihr zu zerstreiten. Und genau deshalb ist mir diese Trennung der Ebenen so wahnsinnig wichtig.

Und falls da jetzt wer diskutieren will, nur nochmal zur Klarstellung: Ich rufe NICHT dazu auf, den Vorgaben der Politik unhinterfragt zu folgen, SONDERN ich rufe dazu auf, schlicht und einfach im eigenen Umfeld darauf zu schauen, dass man sich und andere net ansteckt – völlig unabhängig von jeglicher „Obrigkeit“ – und auf das Studie-gegen-Studie-Spiel in der unwissenschaftlichen Wissenschaftskommunikation vielleicht nicht mehr so intensiv einzugehen (da gibt es übrigens ein sehr spannendes Video von MaiLab dazu).

Weil es nämlich völlig wurscht ist, wie laut und lang manche dagegen anschreiben, die Pandemie ist dann vorbei, wenn es keine oder kaum Infektionen mehr gibt und wir über Medikation und Impfstoff verfügen.

 

PS: Einer der Vorwürfe an mich war übrigens, ich schreib zu viel darüber und trage dadurch dazu bei, dass es kein anderes Thema mehr gibt. Ähm, dazu muss ich aber leider sagen: Dass es gerade kaum ein anderes Thema gibt, das wird sich sehr wahrscheinlich nicht ändern, wenn ich vielleicht in Zukunft nichts mehr dazu sag. ;)  

 

 

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