Tulpen aus dem Supermarkt

Hui, da is mir was passiert heut. Eigentlich schon gestern. Lange Geschichte: Ich hab einen Webshop mit Produkten mit lustigen Sprüchen drauf entdeckt, aber die wollten 75 Dollar Versand, nö, fix ned mit mir, da mach ich die Sachen für den Eigengebrauch selbst, solang ich die dann nicht verkauf, darf ich das ja. Gesagt, getan, eine Vase beschriftet, mit einem Spruch, den ich witzig fand. Und am Samstagnachmittag schnell noch in den Lidl – wie erwartet waren im Blumenkübel nur noch drei Sträuße, alle um 50% reduziert. Ein Strauß Tulpen kam mit. 

Eine gute Freundin reagierte dann etwas entgeistert, dass ich (!) Schnittblumen (!) aus dem Supermarkt (!) kaufe. Weil – und da hat sie recht – das ist das Unnachhaltigste, was man im Supermarkt überhaupt kaufen kann. Mike Berners-Lee hat sich mal den Fußabdruck von eigentlich eh allem angeschaut und in seinem Buch „Wie schlimm sind Bananen?“ aufgelistet. Da steht: Ein Strauß aus fünf kenianischen und fünf niederländischen Rosen, fünf niederländischen Lilien und drei Stängeln Schleierkraut aus Kenia kommt auf 32,3 kg CO2: „Als ich Produkte für die Supermarktkette Booths untersuchte, erwiesen sich Blumen außerhalb der Saison als das Produkt mit dem höchsten CO2-Fußabdruck relativ zum Verkaufspreis.“ Das war mir damals in dem Ausmaß auch neu und schockierte mich. Mein Kaufverhalten änderte sich, ein „Jö, ich nehm noch einen Strauß Blumen mit“ passierte nicht mehr. 

Aber Samstagnachmittag stand ich vor der Entscheidung: Soll ich die jetzt kaufen, reduziert, also ohne große Marge für den Supermarkt, oder tu ichs nicht, sodass sie zwei Stunden später weggeschmissen werden, aber ich zeige den Märkten so, dass sie weniger bestellen sollen? Ich war ehrlich unentschieden, was der sinnvollere Weg für mich einzelne Konsumentin ist, aber – und das ist nicht zu unterschätzen – ich wollte diese verdammten Blumen haben und sie standen direkt vor meiner Nase. Ich erinnerte mich an das Beispiel mit den Himbeeren. Jahrelang hab ich mich gefragt, und das auch laut und öffentlich, ob der Hausverstand eigentlich in eine Mauer gelaufen ist und an Aphasie leidet, weil er mir Himbeeren im Jänner anbietet. Himbeeren im Jänner um 50% runtergesetzt eine Stunde vor Ladenschluss würde ich trotzdem kaufen. Aus derselben Logik heraus: Der Supermarkt macht kaum Gschäft damit und das Zeug verdirbt nicht.

Auf Twitter stellte ich genau diese Frage – und wurde umgehend belehrt, dass man das natürlich nicht kaufen soll, weil man dadurch dafür sorgt, dass Schnittblumen weiterhin verkauft werden. Dass es natürlich eine Frage von Angebot und Nachfrage ist und nie und nimmer würde man das tun. Man würde nur „finanzielle Impulse zur Aufrechterhaltung des Wahnsinns“ setzen damit. Und dass „unser Verhalten den ökologischen Zukunfts-Markt“ bestimmt. 

Sorry, ich seh das anders. Und vor allem nicht so schwarzweiß. Klar, wenn sich herumspricht, dass Schnittblumen scheiße sind, geht das Angebot vielleicht um ein bis zwei Sträuße pro Filiale zurück, und insgesamt gesehen ist das vielleicht gar nicht wenig. Aber bei allem Herumsprechen wird es immer Menschen geben, die sich diese Blumen gerne und häufig kaufen, weil sie sie verdammtnochmal haben wollen, das Gefühl kennen wir doch alle, oder? Nehmen wir meine Mutter her zum Beispiel – ich kann mich an nicht einen einzigen Tag in meinem Leben erinnern, in dem bei uns zuhause (und auch jetzt noch, wo ich dort nicht mehr zuhause bin) nicht mindestens ein Blumenstrauß herumgestanden wäre und stehen würde. Und sie ist eine von vielen. Sie wird erst dann in den Blumenladen, der nur heimische Schnittblumen in Saison anbietet, gehen, wenn sie sie im Supermarkt nicht mehr bekommt – Convenience und so, Wege sparen, Kosten sparen, aber trotzdem den Wunsch erfüllen, Blumen am Tisch zu haben. Und Menschen wie Mama gibt es viele – vielleicht nicht so extrem mit IMMER Blumen am Tisch, aber doch häufig und gerne. 

Dieses „Wir und nur wir KonsumentInnen bestimmen das Angebot“, es ist so unglaublich naiv – und moralisierend – , dass es mich nur noch nervt. Nein, das tun wir nicht. Es spielen sehr viel mehr Faktoren rein. 

Ein Beispiel aus der Textilerei: Wenn ich online drei Hosen bestelle und zwei davon zurückschicke, dann glaube ich ja, die kauft dann wer anderer, oder? Nein, diese Hosen werden in den allermeisten Fällen entweder – wenn sie no name Produkte sind – an Ramschketten verkauft, oder, wenn sie Markenprodukte sind, zerstört. Soll ja niemand glauben, dass man teure Markenhosen im Ramschladen kriegt. Und beides ist für die Onliner günstiger, als die Hosen wieder so herzurichten, dass sie neu verkauft werden können. Zalando hat sich vor ein paar Jahren sogar damit gerühmt, dass sie zurückgeschickte Produkte jetzt doch nochmal verkaufen, halt „preloved“, was auch wiederum per definitionem bissl daneben ist, aber hey, immerhin. Rechnen tut sich das für sie nur über die Umwegrentabilität, dass sie ihr ökologisches Image damit aufpeppen. 

Bei den Blumen ist die Situation bissl anders, aber: Solange wir im Supermarkt Blumen kaufen – und mit „wir“ mein ich kollektiv alle KonsumentInnen hier – werden sie in einer Stückzahl bestellt, die über den prognostizierten Verkauf hinausgeht, und die Verluste werden einfach gleich mit einkalkuliert in den Verkaufspreis. Wenn man also wirklich ökologisch etwas bei den Supermärkten in Sachen Blumen erreichen will, dann reicht das „Wir dürfens einfach alle nimmer kaufen“-Beispiel einfach nicht. Natürlich ist das wichtig, um einzelnen Handlungsmöglichkeiten fürs eigene Gewissen an die Hand zu geben, aber ganz ehrlich, in dieser Logik steckt auch viel Virtue Signalling. 

Um ökologisch WIRKLICH was besser zu machen, müsste man es schaffen, dass Schnittblumen komplett ausgelistet werden. Was es in meinen Augen braucht, ist ein Zusammenspiel aus Lobbying, Campaigning UND zivilgesellschaftlichem Engagement. Es braucht die Supermärkte am Verhandlungstisch, es braucht eine breite Kampagne, die auch jenen, die liebend gern und völlig ohne Hintergedanken Blumen im Supermarkt kaufen, klarmacht, dass das ökologisch ein Wahnsinn am Level von Rindfleischsteaks ist, und es braucht ein Kampagnisieren in Richtung Politik, die beispielsweise CO2-Grenzen auf Produktgruppen einführt, über einen CO2-Abdruck von so und so viel dürften dann Blumen zum Beispiel nicht mehr verkauft werden, mit allen rechtlichen Konsequenzen bei Verstößen.

Klingt seltsam, unrealistisch? Ist es aber nicht. Eine breit angelegte NGO-Kampagne inklusive Volksbegehren führte dazu, dass im Supermarkt verkaufte Milch gentechnikfrei ist – man müsste nämlich „gentechnisch verändert“ auf die Verpackung schreiben und das würde niemand kaufen, das haben die Supermärkte schon verstanden (Das Ding mit dem Gentechnik-Sojafutter, mit dem heimische Schweine gefüttert werden, steht halt noch aus). 

Hätte es nicht massives Kampagnisieren, das breite Unterstützung aus der Bevölkerung erfuhr, gegeben, würde es in den Supermärkten immer noch Käfigeier geben. Letzteres ist eine freiwillige Selbstverpflichtung der Supermärkte, die auf öffentlichen Druck reagiert haben. Auf Märkten – ich wohne beispielsweise in der Nähe des Meiselmarkts in Wien und sehe es immer wieder – gibt es aber immer noch und immer wieder „Dreier-Eier“, also Käfigeier. Gekauft werden sie von denen, denen es genau wurscht ist, und das sind einige. Dass die Supermärkte es nicht mehr anbieten, ist super, die KonsumentInnen haben dort also einfach keine Möglichkeit mehr, Frischeier aus Käfighaltung zu kaufen (Das Ding mit den Käfigeiern in verarbeiteten Produkten steht halt noch aus). 

Mir zeigt das ganz klar: Es braucht Kampagnen, es braucht viel, viel mehr als nur das individuelle Einkaufsverhalten. Was natürlich umgekehrt nicht heißt, dass ich als KonsumentIn auf alles scheißen soll, natürlich gibt es bessere und schlechtere Konsumentscheidungen. Blumen Samstagnachmittags und nicht Montagvormittags zum Beispiel. Regionales, Saisonales Gemüse und nicht das fertigmarinierte Rindfleischsteak. Milch aus der Pfandflasche statt ausm Einwegtetrapack. Aber sich einfach nur aufs eigene Kaufverhalten zurückzuziehen und eben nicht laut zu sein und Veränderung auf systemischer Ebene zu fordern, das halt ich halt für schwach. Ich mein, sogar Greta Thunberg hatte nach kurzer Zeit ein Kampagnenteam um sich, die halfen, strategisch ihre Idee in die Welt zu tragen - was ja gut und absolut richtig ist! Wir sollten uns halt abschminken, dass einfach nur das Bild von dem Mädl mit dem Schild alles verändert hat, sondern es war die strategisch gut gemachte Kampagne dahinter, und das ist null Shade an Greta, sondern im Gegenteil Hochachtung vor ihrem strategischen Denken!!  

Was es aber ganz sicher nicht braucht: Ein „Ich bin besser als du, wie kannst du nur Schnittblumen kaufen“-Signalisieren an jene, die sich überlegen, ok, Schnittblumen im Supermarkt sind scheiße, aber Samstagnachmittag setze ich damit ein anderes Zeichen, als wenn ich sie Montagfrüh kaufe. Weil ganz ehrlich, mit so einem Belehren erreicht man nur das Gegenteil, das beweist die Verhaltenspsychologe immer wieder: Kaum jemand ändert aktiv sein Verhalten, wenn er/sie nicht positiv statt negativ motiviert wird. 

Ich werds nie vergessen: Ich war bei Greenpeace im Büro, hatte gerade zwei große Kampagnen zu verantworten – die zu Meeresfisch und dem Greenwashing-Gütezeichen MSC und die zu Einwegplastik. Mein damaliger Vorgesetzter kam telefonierend ins Zimmer und sagte: „Du, wirst du am Abend Hunger haben? Soll ich uns am Heimweg Sushi mitnehmen?“ – und ich brach in Lachen aus. Greenpeacemitarbeiter in gehobener Position – und im Alltag auch kein Heiliger. Aber hätt ich ihn deshalb schimpfen sollen? Nein! Weil meine Fresse, soll er sich Sushi im Plastikpackerl kaufen, mit dem einen Kauf verändert er den Lauf meiner Kampagnen auch nicht. Muss er halt mit sich selbst ausmachen, aber wer bin ich, mich darüber zu erheben? Soll ichs ihm versauen, damit ich mich freu, juhu, ab jetzt wird er ein schlechtes Gewissen haben, wenn er Sushi kauft? Damit hab ich genau nichts bewegt. (Gut, gfragt, ob er mir eigentlich auch zuhört in meiner Arbeit hab ich ihn schon, aber mehr so a wengerl sarkastisch und so..) 

Übrigens, ja, die Supermärkte reagieren sehr sensibel auf das Einkaufsverhalten. Aber es gibt einen Unterschied: Wenn sie zuviel Angebot haben, preisen sie die Verluste einfach mal ein, bevor sie ein Produkt nicht mehr bestellen, weil irgendwer wird’s ja dann doch wollen. Wenn man etwas NICHT bekommt, da reagieren sie sensibel wie nur. Eine Bekannte erzählte mir mal, sie hatte rausgefunden, dass der Spar Produkte einlisten muss, wenn in der Filiale danach gefragt wird. Als sie merkte, dass die Heumilch nicht mehr erhältlich war, ging sie einen halben Tag lang in mehrere Spar-Filialen und fragte nach Heumilch – also wurde sie in diesen Filialen wieder eingelistet. Ob das dann so sinnvoll ist, wenn man nicht weiß, ob sie in dieser Filiale überhaupt gekauft wird, ist halt eine andere Frage, und dann hab ich als einzelne KonsumentIn, die plötzlich „Macht“ über das Bestellverhalten der Supermärkte hat, dafür gesorgt, dass vielleicht einige Dutzend Liter Heumilch völlig umsonst schlecht werden. 

Worauf ich raus will? Lassts bitte das Virtue Signalling sein. Es wird immer Leute geben, denen Nachhaltigkeit völlig wurscht ist und für die wird es auch immer Angebot geben, wenn es keine gesetzlichen oder freiwilligen Einschränkungen durch den Handel gibt. Und die erreicht man nicht über "Was, du kaufst Schnittblumen? Du böser Mensch, damit unterstützt du das System!" Wenn ihr ein Produkt nicht mehr im Handel haben wollt, reicht euer individuelles Verhalten nicht aus. Da müsst ihr laut werden. Fordern. Konfrontieren. Und zwar die Märkte, die Politik. Und die anderen KonsumentInnen holt ihr bitte ohne die Gewissenskarte auf eure Seite, sondern durch klare Information und einen gewissen Pragmatismus durch das Wissen, wie weit die Macht und der Impact der KonsumentInnen eigentlich reicht. Danke. 

 

PS: Nach ein bissl Nachdenken kommts gar nicht so gut, dass in der Vase mit dem Aufdruck die 50% verbilligten Blumen stehen :) :) :) :) Ich freu mich auf alle Fälle wieder auf echte Blumensaison!