Liebe Grüne, ich kann nicht mehr.

Als ihr mit der ÖVP in Koalition gegangen seid, habe ich das befürwortet. Endlich ein Klimaministerium. Endlich keine FPÖ mehr an der Macht.

Ich verstand sogar, dass angesichts der ganzen Skandale, Ermittlungen gegen und spazierengegangenen Laptops bei der ÖVP die Koalition nicht aufgekündigt habt – denn es war klar, ihr seid euch absolut bewusst, was Tatsache ist: Die Klimakatastrophe steht über allem. Und man muss JETZT handeln. Am besten gestern. Und ein A.. mit Ohren, der den Hals nicht vollkriegen kann und arrogant, präpotent und egoistisch Politik macht, sollte euch nicht die Chance auf die großen Klimaprojekte nehmen.

Als das georgische Mädchen abgeschoben wurde, war ich tief erleichtert, das wenigstens Sibylle Hamann und Lukas Hammer, ein Freund auch jenseits der Politik, dort waren und protestiert haben.

Als die Ermittlungen gegen Kurz verkündet wurden, war für mich eine rote Linie da. Aber auch da verstand ich: Es braucht eine Leonore Gewessler im Ministerium, es braucht einen Lukas Hammer im Nationalrat. Und dass Kurz weg ist, dass Blümel weg ist, das war eure Leistung, die viel zu wenig gesehen wird. 

Immer und immer und immer wieder argumentierte ich für euch, mit Menschen, von denen ich nie dachte, dass ich überhaupt mal vor ihnen die Grünen verteidigen muss. Ich war sprachlos, als sogar Menschen aus großen Umweltschutzorganisationen sich gegen die Grünen wandten. Es wirkte auf mich wie ein Sägen am Ast, auf dem man draufsitzt.

Immer mehr Menschen erklärten mir, die Grünen hätten sie verloren, sie würden nie wieder die Grünen wählen, die Grünen hätten sie enttäuscht, nie wieder sollten die Grünen in einer Regierung sitzen. In meinen Augen war da auch zu viel enttäuschte Erwartungshaltung dabei, von einer Erwartung, die von vorneherein zu hoch gewesen war.

Doch jetzt, jetzt kann auch ich nicht mehr. Ja, Klimaschutz steht über allem, und viel zu viele Menschen haben das immer noch nicht verstanden – aber deswegen kann man nicht alles andere von der Klippe fallen lassen! Nicht, wenn man Regierungspartei ist.

Mich habt ihr mit zwei Aktionen, die anderen nebensächlich erscheinen, auch über die Klippe geschmissen. Sie waren die letzten Tropfen, die ich nicht mehr runterschlucken konnte. Zuerst, als Faika el-Nagashi ein aus feministischer Sicht durch und durch richtiges Interview gab, sich - und ich kanns nicht oft genug betonen - NICHT gegen Transpersonen stellte, sondern sich gegen diesen ganzen pseudoreligiösen und postfaktischen Irrsinn, der von selbsternannten AktivistInnen ausgeht, aussprach, der bis ins Mark reaktionär und autoritär ist und die Linke komplett kaputt macht – und nicht nur gab es keinen öffentlichen Support, es gab sogar klare Ansage, das nicht zu tun, wie mir mehrfach bestätigt wurde. Und das, obwohl ich genau weiß, dass es gar nicht so wenige in euren Reihen gibt, die Faika inhaltlich zustimmen. Das ist so derartig rückgratlos, und als Frau fühle ich mich von euch nicht mehr vertreten.

Doch den letzten Schubser gab mir heute Gesundheitsminister Rauch. Bereits bei seinen Aussagen von wegen „Niemand hat die Absicht, kranke Kinder in den Kindergarten zu schicken“ und „Es gab zu keinem Zeitpunkt ein Massensterben“ (bzw. so ähnlich, ich weiß es nicht mehr genau, aber das war die Message) musste ich schon hart schlucken, genauso bei Verkündung des Quarantäne-Endes, gegen das sogar Gecko intervenierte. Mitten in einer neuen Welle der Pandemie zu erklären, so, wir müssen jetzt alle wieder zurück zur Normalität, es grenzte für mich an Gaslighting. Wir reden ständig über Gefühle, die man nicht verletzen darf, aber dass mit dieser Situation sich jetzt viele sehr verunsichert fühlen - auch weil die Verordnung arbeitsrechtlich mal wieder komplett unausgegoren ist, das wird ignoriert? 

Aber dann kam der Suizid von Dr. Lisa Maria Kellermayr. Der mich bis ins Mark erschütterte: Sie war bereits früh eine, die die Menschen direkt behandelte und einige Maßnahmen der Politik kritisierte, sie stellte sich auf der anderen Seite aber auch entschieden gegen die ImpfgegnerInnen. Sie wurde bedroht. Sie fragte nach Polizeischutz. Sie bekam nur „Bestreifung“ und medial wurde ihr auch noch in den Rücken gefallen. Der Polizeisprecher erklärte, sie wolle ja nur ihr eigenes Fortkommen anfeuern, und empfahl ihr, sich psychologische Hilfe zu holen. Niemand half ihr, nicht aus der Politik, nicht aus der Exekutive, sogar die Ärztekammer kommentierte öffentlich, dass ja ihre Ordination auch anderen gut stehen könnte, anstatt sie, die medizinisch alles richtig machte, zu unterstützen. Immer wieder schrieb sie, sie würde sich um Termine bei Gesundheits- und Innenminister bemühen, und nie bekam sie eine Antwort. 

Dann kam auch noch die neue Verordnung raus, die sich aus ihrer (psychisch logischerweise nach all dem Terror schon angeschlagenen) Sicht wie ein Einknicken gegenüber den Maßnahmenkritikern - unter denen sich genau die Menschen befanden, die sie terrorisierten - gelesen haben muss. Keine Impfpflicht mehr, keine Quarantäne mehr, infiziertes Pflegepersonal darf am Patienten arbeiten. Das muss ihr den letzten Rest gegeben haben. (Berechtigte Kritik an dieser Formulierung: Ich kann nicht wissen, was in ihr vorgegangen ist. Mir an ihrer Stelle hätte es den letzten Rest gegeben, aber ich kann nicht für sie sprechen. Kritik angenommen.) Und dann geht der Gesundheitsminister hin und postet Kondolenz auf Twitter, während ihr letzter Tweet der Wunsch nach seiner Ablöse war? Es liest sich wie purer Hohn. Warum hat er nicht einfach die Klappe gehalten, es hätte ihm besser gestanden. Und dieser Hohn, wenn auch wirklich nur eine Nebensächlichkeit, war der allerallerallerletzte winzige Tropfen auf einem bereits übervollen Tränenglas und sorgt nun dafür: Ich kann euch nicht mehr wählen. Und es fühlt sich in meinem Umfeld an, als ob ich eine der Letzten bin, die euch aufgibt.

Das Ding ist aber: Ich WILL euch wählen. Ich will, dass es wenigstens eine Partei gibt, die den Klimaschutz ganz nach oben stellt. Ich will, dass ihr euch euren Themen stellt. Meine Expertise ist die Kommunikation – und daher traue ich mich zu sagen: Wenn ihr etwas nicht könnt, ist es das. Was die Grünen schon an Kommunikationsdebakeln hingelegt haben, es könnte mehr Seiten füllen als alle Bände von Harry Potter. Ich durfte immer wieder an der Oberfläche von euch kratzen und kleine Einblicke gewinnen, und ich kann nur sagen: Es ist nicht schön, wie es intern bei euch zugeht. Ihr hattet die Chance, euch vor ein paar Jahren komplett neu aufzustellen. Da kam dann aber sofort die Regierungsbeteiligung und alles musste auf einmal passieren. Man kann es nicht anders sagen: Ihr habt es verkackt. Dabei arbeiten teilweise so tolle Leut bei euch, auf allen Ebenen von Bezirk bis Ministerin. 

Und ich wünsch mir nichts mehr, als dass das alles nicht so verfahren wäre. Ich will euch wieder wählen können. Ich will mein politisches Zuhause zurück. Stellt euch euren Themen, diskutiert Positionen ergebnisoffen. Baut endlich eure Kommunikation stabil auf. Politik ist ein saudreckiges Spiel. Aber es geht um zu viel, als dass ich mich damit zufriedengeben könnte, keine politische Stimme mehr zu haben.

Eure Nunu

Ps. Und falls jetzt wer meint, naja, mei, eine Stimme, nimm dich nicht so wichtig – ich kann nur wiederholen, ich bin in meinem gesamten ehemals komplett grünen Umfeld eine der Letzten, die noch zu euch gehalten hat. Und wenns mir so geht, kann ich mir gut vorstellen, dass andere Tiefgrüne es inzwischen genau so sehen wie ich. Und das ist ein echtes Problem für euch.

Ps2: Liebe Lisa Maria, möge die Erde dir leicht sein.