Das Ende der Message Control ist fällig

Es ist fünf Uhr in der Früh, ich konnte nicht mehr schlafen, weil die Amsel im Hinterhof aus der Winterpause zurück ist, und habe mir gerade das ZIB2-Interview mit Bundeskanzler Kurz angeschaut. Und muss mir da jetzt einiges von der Seele schreiben, sonst explodier ich: 

Ein großer Teil meiner bisherigen beruflichen Karriere bestand aus klassischer Pressearbeit. Ich war Pressesprecherin in zwei verschiedenen NGOs und arbeitete auch als Campaignerin bei Greenpeace sehr eng mit den Medien zusammen. In der Pressearbeit gibt es eine Einserregel: Ruft ein Journalist oder eine Journalistin an, musst du imstande sein, die Erstantwort zu geben, damit der/die Anrufende weiß, in welche Richtung es geht, um dann die jeweiligen inhaltlichen ExpertInnen der Organisation zum Interview zu vermitteln.

Die zweite wirklich wichtige Regel: Du als PressesprecherIn musst glaubhaft vermitteln, dass du zu jedem Zeitpunkt an alle gewünschten Informationen im Haus kommst, und zwar auch bis ganz nach oben. Ist der Geschäftsführer nicht erreichbar, bist du die nächste Person, die angerufen wird - und musst den Kontakt herstellen können. Zumindest war das immer mein Arbeitsanspruch: JournalistInnen, die bei mir anrufen, bekommen niemals ein "das weiß ich leider nicht" von mir, sondern immer ein Versprechen, die gewünschten Antworten und InterviewpartnerInnen zu organisieren, selbst wenn der Oberboss drei Tage auf Klausur ist, wurscht, bei dir als Pressesprecherin muss er abheben. Niemals darf passieren, dass von außen interne Gschichten an dich herangetragen werden, und selbst wenn das so ist, dann musst du - sorry, liebe Journos - blöffen und dennoch klar vermitteln: Du weißt natüüüüürlich davon, klärst das intern umgehend, bist sicher, es handelt sich nur um ein Missverständnis und wirst dich umgehend wieder melden (a.k.a. schmutzige Wäsche wird zuhause gewaschen) - und genau das tust du dann auch. Das war und ist meine Definition von Professionalität im Medienjob. 

Das ist - mit Verlaub -  so ziemlich das Gegenteil dessen, was die ÖVP und der Bundeskanzler gerade aufführen. Nicht nur ist dieses sich Abputzen an anderen, niedriger gestellten MitarbeiterInnen menschlich mies, als Bundeskanzler keine Verantwortung für sein eigenes Verwaltungspersonal zu übernehmen, ist dreist bis dorthinaus, es ist auch kommunikationstechnisch einfach unterste Schublade. Dass Kurz gern anderen die Schuld gibt, wenn was nicht rennt, und sich als der große Zampano hinstellt, wenn was in seinem Sinne läuft und er es als seinen Erfolg verkaufen kann, kennen wir seit dem berühmten Schließen der Balkanroute. Außerdem so unter uns Frauen: Wir kennen das auch ziemlich gut als sehr klaren Hinweis auf männlichen Narzissmus, oder? Jemand, der am eigenen Misserfolg anderen die Schuld gibt und sich selbst im komplett selbstproduzierten Misthaufen, in den er sich gesetzt hat, als der "Ich habs ja nur gut gemeint"- zu Rettende hinstellt, sollte in uns (um beim Bild des Misthaufens zu bleiben) einfach nur ein "Geh scheißen" auslösen. Jetzt lebt uns genau dieses narzisstische Verhalten der eigene Bundeskanzler vor. 

Es ist weder glaubhaft noch kommunikativ verantwortbar, dass ein Bundeskanzler in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes erklärt, er hätte keinen Einblick in die Verteilungsverträge in Sachen Impfstoff der EU gehabt, weil die ja geheim seien - obwohl er mit den operativ genau damit Beschäftigten, an die er übrigens in vielen Fällen ein Weisungsrecht hat, zweimal die Woche zusammentrifft, und obwohl er auf Staatschefebene genau jene Vorgänge ausverhandelt hat. Ein "Ich hab nicht reinschauen dürfen in die Verträge" ist schlicht und einfach ein Verarschen der Bevölkerung (nachdem es bereits oft geschehen ist, wird er sich wohl denken, ja, die Gschicht kamma denen schon einidruckn). Oder kann mir jemand einen Grund nennen, warum ein Bundeskanzler beim Thema Nummer 1 in Sachen Pandemie nicht die vom eigenen Land unterschriebenen Verträge einsehen darf? 

Es ist mir langsam echt schon egal, zu was für unfassbaren Aussagen es im U-Ausschuss kommt, welche Erinnerungslücken an Laptops, spazierengegangene Laptops und geschredderte Festplatten es gibt. Es ist mir egal, dass bereits durchscheint, dass es dem türkisen Personal nur um Macht und Unterstützung der eigenen Klientel geht.

Es ist mir wirklich dulli, dass immer klarer wird, dass Schramböck Millionen Steuergeld verschwendet, dass Nehammer, Kurz und Raab offen lügen, wenn es um die Zahl der aufgenommenen unbegleiteten geflüchteten Kinder und Jugendlichen geht, die mit 5000 beziffert wird, es sich in Wahrheit aber nur um 185 handelt.

Es ist mir wahrlich schon wurscht, was für einen Stuss von MINT-Berufen und Pensionssplitting die Frauenministerin daherredet, anstatt für bessere Bezahlung der Pflegeberufe zu sorgen und vielleicht mal die Situation der steigenden Zahl der Alleinerzieherinnen zu betrachten. Es ist inhaltlich eine Nebelgranate nach der anderen, und es bestätigt mich lediglich in der Meinung, dass die türkise ÖVP dem Regieren nicht gewachsen ist. 

Es ist mir völlig schnurz, wie sich die Koalitionspartner bereits sichtbar bekämpfen (ok, letzteres stimmt nicht ganz. Dass ein ÖVP-Kanzler öffentlich von einem sich im Krankenhaus befindlichen grünen Gesundheitsminister die Absetzung eines ÖVP-Beamten in dessen Ministerium fordert und ihm somit offen das Messer ansetzt, das die Koalition hätte zerschneiden können, ist einfach nur noch tiaf). 

Es ist dieser Dillentantismus, mit dem agiert und kommuniziert wird. Einerseits ist es schön zu sehen, dass die Message Control bröckelt und alle naselang Tatsachen aufgedeckt werden, die der Kommunikation der ÖVP eindeutig widersprechen, und wie sie langsam immer panischer und mit immer dümmeren Wordings reagieren -ich sag nur 127 Euro pro Unternehmen, mit denen das Kaufhaus Österreich argumentiert wird. Oida, wie deppert!.

Aber dass sie trotzdem immer noch damit durchkommen, dass diese Verantwortungsverschiebung, wenn mal was schiefrennt, und dieses offene Lügen, diese unfassbar schlechten Wordings (ich erinnere liebevoll an das Interview mit Wolfgang Gerstl, ein Meilenstein der Mediengeschichte) einfach immer noch keine Konsequenzen haben, das macht unglaublich wütend. Dass JournalistInnen ihr Spiel teilweise immer noch mitspielen. Zu sehen, dass einfachste Projekte grandios in den Sand gesetzt werden und nicht nur zu wissen, sondern sogar den Beweis erbracht zu haben, dass man es besser kann - weil Leute, eine Liste an Unternehmen zu erstellen und dazu eine Suchfunktion zu implementieren, die halbwegs sinnvoll ist, ist NICHT Raketenwissenschaft - ich kann nicht Mal in Worte fassen, WIE bitter das ist. 

Wir werden regiert von Dilettanten, die glauben, sie haben die Message Control erfunden und die es für eine gute Idee halten, sie aber nicht mehr beherrschen - gepaart mit Eitelkeit und Narzissmus - es ist zum aus der Haut fahren. Der einzige Gedanke, der gerade hilft: Sich an den Fluss setzen und warten, bis die Leichen deiner Feinde vorbeischwimmen. Oder um das Bild nicht ganz so blutig zu gestalten: Zu warten, bis sie am Weg zum Richter an dir vorbeikommen. Wenn sie nicht vorher wirklich den Rechtsstaat erfolgreich abgesägt haben.